Amir Kassaei, global gefeierte Werbeikone, hat sein Lebenswerk in seinem Buch „Vom Unsinn des Lebens“ verewigt. Ein Porträt und ein Interview mit einem kreativen Geist, der nicht nur die Werbebranche nachhaltig geprägt hat.
Foto: Inge Prader
Autor & Interview: Mansoureh Rahnama
Amir Kassaei ist ein Rebell, im Chaos Teherans geboren, als Kindersoldat im Krieg geformt und durch die Wirren der Weltgeschichte geprägt. Als gebürtiger Iraner, wuchs er in Österreich auf und studierte in Frankreich, dann zog Kassaei 1997 nach Deutschland. Vom Account Manager entwickelte er sich über den Strategic Planner zum Art Director und Copywriter bis hin zum Executive Creative Director für die Kunden Mercedes-Benz und Smart. Von den Schützengräben in die Vorstandszimmer, Kassaei webte die Träume in Werbekampagnen, meisterte die Alchemie der Ideen. Mit Cannes Lions als Lorbeeren zwischen Kunst und Kommerz feierte er, formte Marken und beugte Köpfe, aber niemals seinen eigenen. Nun, ein Meister vieler Welten, erstreckt sich seine Leinwand über die Werbung hinaus, indem er architektonische Welten mit klaren Linien zeichnet, Fäden in der Mode spinnt und Geschichten im Inhalt webt.
Mitte 40 endete seine Karriere in den Vorstandsetagen. Getreu dem berühmten Motto von Muhammad Ali „Float like a butterfly, sting like a bee“ begann er mit seinem persönlichen „New Beginning“ als Ad- und Marketingveteran. Ein Nomade der Kreativität, der Grenzen trotzt, Kassaei orientiert sich an diesen Regeln und Weisheiten: „Erzeugt keine bloße Luft. Schafft Produkte mit Substanz und Bedeutung. Qualitatives Wachstum zeigt den Weg in die Zukunft.“ Jeden Morgen trieb Kassaei sich an: „Kämpfe, oder geh unter!“ Der junge Amir startete als Buchhalter in einer Designagentur und avancierte zur weltweiten Werbeikone mit mehr als 2000 Auszeichnungen.
„Erzeugt keine bloße Luft. Schafft Produkte mit Substanz und Bedeutung. Qualitatives Wachstum zeigt den Weg in die Zukunft.“
Als Vorbilder und Inspirationsfiguren nennt Kassaei Holger Jung und Jean-Remy von Matt (sie sicherten sich den Porsche-Etat. Als sie in einem Porsche ankamen, witzelten sie: „Wir sind hier nur zwei, weil nur zwei in einen Porsche passen“) und Bill Bernbach; dieser Pate der Werbung setzte auf den Geist. Für den VW-Käfer entwarf er eine ehrliche Kampagne: „It’s ugly, but it gets you there“, und platzierte das VW-Logo auf einem Schwarz-Weiß-Foto des Mondlandemoduls. Steve Jobs inspirierte Kassaei derweil mit „Think different“.
Nach 30 Jahren, eine Karriere, die in deutschen Werbeagenturen begann und in New York City ihren Höhepunkt fand, führte Amir Kassaei in die ruhigen Hallen leerstehender Textilfabriken, in denen er sich zur Architekturikone wandelte. Etwas Neues entstand in Barcelona. Er betrat die Modewelt und schuf einen Brand in Ibiza. Unter seiner Führung erlangte die Werbeagentur DDB weltweit Anerkennung für wegweisende Kampagnen für ikonische Marken wie Coca-Cola, Apple, Nike und Volkswagen, wobei seine Ära als Global Chief Creative Officer einen Höhepunkt kreativer Exzellenz und strategischer Innovation markierte. Von den glitzernden Türmen New York Citys zu den pulsierenden Straßen Shanghais lenkte Kassaei die kreative Vision von DDB Worldwide, geprägt von unerschütterlichem Engagement für Innovation und einem Gespür für die Pulsadern der globalen Kultur. Trotz seines Einflusses auf die Werbewelt zog es Kassaei letztlich zu neuen Horizonten. 2017 gründete er die renommierte Agentur C14torce in Barcelona, bei der er sich exklusiv der Marke SEAT widmete und seine Tradition der Exzellenz fortsetzte.
„Ich bin von Natur aus aufs Koks“, sagt Kassaei über sich selbst und charakterisiert damit seine Zielstrebigkeit. Inmitten der Ressourcen das Beste zu erkennen, ist der Schlüssel zum Erfolg. Er bewegt sich multidimensional und nutzt angewandte Kreativität, um Projekte mit Mehrwert zu schaffen.
„Ich bin von Natur aus aufs Koks“
Sein Hobby? Blitzschach. Er bezeichnet das als perfekte Erholung. Bei drei Minuten pro Partie bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Manche nennen ihn nicht nur „Chief Creative Officer“, sondern auch „Chief Ass Officer“, denn er setzt immer wieder neue Kämpfe: „Echte Kämpfer essen keinen Honig, sie kauen Bienen.“
„Kämpfe, oder geh unter!“
Selbst wenn er sich hätte zurücklehnen können, sucht er die Provokation. Mit 13 war er als Kindersoldat an der Frontlinie im Zweiten Golfkrieg. Er und seine Kameraden mussten über ein Minenfeld laufen, dabei verlor er einen gleichaltrigen Freund. In diesem Alter gezwungen zu sein, Menschen zu erschießen, bereitet ihm bis heute Alpträume.
„Echte Kämpfer essen keinen Honig, sie kauen Bienen.“
„IBIZA O NADA“
„Wir sind alle wie kleine Federn. Wir werden durch das Leben gewirbelt. Ob Brise, Wind, Sturm oder Tornado, wenn wir aber wahrhaftig sind, landen wir immer am richtigen Platz.“
Jetzt, da Volkswirtschaften und Umwelt durch Krisen und Kriege leiden, konzentriert er sich darauf, Luxus neu zu definieren, indem er Ressourcen schont: mehr Erlebnis mit weniger Geld. Eine High-Street-Fashion-Marke, die polarisiert, sucht nach einem substanziellen Ansatz, der zum Nachdenken anregt und qualitatives Wachstum fördert. In einem System, das auf Schnelllebigkeit und Gewinnmaximierung fokussiert ist, nutzt er Technologie, um echten Wert für die Menschen zu schaffen.
Kassaei schafft Luxusartikel, aber wenn man der Werbeikone auf der Insel Ibiza im Gärtnerlook begegnet, sieht man ihn in Flipflops und kurzen Hosen ohne jegliche Luxusartikel. Fragt man ihn, was er macht, bezeichnet er sich als Rentner und Werbeveteran. Mit einem Lächeln sagt er: „Ich genieße das Leben und lasse die Kreativität weiter fließen, egal wo ich bin.“ Selbst auf der Insel mit „Ibiza O Nada“ kreiert er eine Synthese aus Freiheit, Hedonismus, Offenheit, Respekt, höchster Lebensqualität und Nachhaltigkeit. Nun hat der Ad- und Marketing-Veteran sein Lebenswerk in einem Buch namens „Vom Unsinn des Lebens“ nach dem Motto verewigt: „Wir sind alle wie kleine Federn. Wir werden durch das Leben gewirbelt. Ob Brise, Wind, Sturm oder Tornado, wenn wir aber wahrhaftig sind, landen wir immer am richtigen Platz.“
Viele Talente kommen nach Deutschland, doch die Umstände zwingen einige, weiterzuziehen. Trotz der Kämpfe gegen Vorurteile und Ablehnung gibt es Ausnahmetalente wie Amir Kassaei, ein global gefeierter Werbeguru. Er revolutioniert die Branche und schreibt Geschichte neu. Wenn Deutschland wirklich das Land der Besten sein will, müssen die Bedingungen für die Talentaufnahme stimmen, damit diese Talente auch hierbleiben. Sie könnten die Industrienation in ein globales Zentrum der Exzellenz verwandeln, angeführt von Genies wie Amir Kassaei.
„VOM UNSINN DES LEBENS“
Das neu erschienene Buch neben Büchern von Deutschlands bedeutendem Politiker Helmut Schmidt zu finden, ist eine verdiente Anerkennung für Kassaei. Schmidt war bekannt für seine Entschlossenheit, scharfen Verstand und Fähigkeit, komplexe politische Probleme zu lösen. Sein pragmatischer Ansatz und Besonnenheit in Krisensituationen waren bemerkenswert.
INTERVIEW
Anlässlich der Buchveröffentlichung führten wir ein Gespräch mit der Werbeikone Amir Kassaei, ein kreativer Geist, der die Werbelandschaft nachhaltig geprägt hat.
WAS...
- Was treibt dich an, über dein Leben und deine Entscheidungen nachzudenken, und welche Erkenntnisse ziehst du daraus?
Ich glaube, ich habe ein gesundes und konstruktives Wertesystem, das mich durch das Leben navigiert. Die wichtigsten Entscheidungen meines Lebens habe ich immer mit meinem Instinkt getroffen, nicht mit meinem Kopf, und mein Instinkt hat mich nie getäuscht. Ich finde, man sollte viel weniger nachdenken und viel mehr verdenken. In Bezug auf sich selbst, sein Leben, seine Umgebung und die Gesellschaft, in der man lebt.
- Was sind die häufigsten Herausforderungen für Kreative heute, und wie schlägst du vor, sie anzugehen?
Die Herausforderungen heute sind die gleichen wie vor 15 Jahren. Schon damals habe ich angemahnt, dass die Aufgabe und die Verantwortung von Kreativen es ist, originäre und innovative Lösungen für die essentiellen Probleme der Unternehmen zu finden, statt sich auf Reklame, bunte Bilder und lustige Texte zu konzentrieren. Damals wie heute können es die meisten Beteiligten es intellektuell nicht begreifen.
WARUM...
- Warum ist es wichtig, die lokale Kultur zu verstehen, um erfolgreiche Werbekampagnen zu entwickeln? Angesichts deiner interkulturellen Erfahrungen – geboren im Iran, aufgewachsen in Österreich, studiert in Frankreich, gearbeitet als Kreativdirektor in Deutschland und den USA – wie haben diese vielfältigen kulturellen Einflüsse deine Herangehensweise an Werbung geprägt?
Als Kreativer ist man dazu verdammt, neugierig zu bleiben und Lehrling zu sein. Das bedeutet, dass man sich inspirieren lassen muss von unterschiedlichen Kulturen, Trends, Insights. Die Welt und die Menschen, die darauf leben, sind die größte Inspirationsquelle für jeden. Nicht nur für Kreative.
- Warum bleibt trotz technologischer Fortschritte die authentische Kundenbindung ein zentraler Faktor im Marketing?
Marketing hat nur eine Aufgabe. Eine emotionale Bindung zwischen Menschen, Produkten, Dienstleistungen und Marken zu schaffen.
Eine Marke ist die Summe aller Erfahrungen, die ich mit einem Unternehmen mache. Technologie kann da ein großartiges Werkzeug sein.
Leider wird Technologie sehr oft mit Idee verwechselt, Reichweite mit Relevanz und Humanität mit Müll. Deshalb nehmen die meisten Unternehmen die technologischen Möglichkeiten leider nicht wahr.
WIE...
- Wie gehst du mit den Extremen der Reaktionen auf deine Arbeit um, und wie beeinflussen sie deinen kreativen Prozess?
Meinungen sind keine Ideen. Meinungen sind Meinungen. Solange ein Feedback konstruktiv im Sinne einer Lösung gegeben wird, kann man daraus lernen und das Resultat besser machen. Wenn aber Feedback einfach nur eine unqualifizierte Meinung ist, dann zerstört es in den meisten Fällen mehr als dass es etwas Großartiges entstehen lässt.
- Wie integrierst du die Emotionen der Liebe und Wut authentisch in deine kreative Ausdrucksweise und nutzt sie als Katalysator für innovative Ideen?
Ich habe immer meinen Beruf als Kreativer geliebt, der auf der Suche nach den bestmöglichen Lösungen ist. Diese Liebe haben alle meine Auftraggeber, aber auch alle Menschen, die mit meinen Ideen in Berührung gekommen sind, gespürt. Wut ist wichtig, weil Wut, wenn richtig kanalisiert, sehr viel Energie freisetzen kann, so dass man beharrlich bleibt und immer weiter für die bestmögliche Lösung kämpft.
- Wie lebst du deine Werte von Anspruch, Respekt und Konsequenz im Alltag? Wie gehst du mit Ungerechtigkeit um und setzt dich für dich und andere ein? Was bedeutet für dich „Heimat“, und wie zeigt sich dieses Gefühl in deinem Leben angesichts deiner Erfahrungen mit Verlust und Heimatlosigkeit?
Wie gesagt, ich habe ein sehr gesundes Wertesystem. Dieses Wertesystem sagt, dass man jeden Menschen respektiert und wertschätzt. Dieses Wertesystem sagt aber auch, dass man sich wehren sollte, wenn einem Ungerechtigkeit, unqualifizierte Meinungen oder sonstige niederträchtige Dinge widerfahren. Heimat ist für mich nur ein Gefühl. Das lässt mich mutig, frei und konsequent bleiben. Egal wo, egal wie und egal wann.
- Leben heißt leiden, überleben heißt im Leiden einen Sinn finden. Wie können wir angesichts des Unsinns des Lebens einen tieferen Sinn finden und einen Zustand der Erfüllung erreichen, wie es Friedrich Nietzsche postulierte?
Das Leben macht in der Vorwärtsbewegung keinen Sinn. Alle, die das in der Geschichte versucht haben, sind gescheitert. Das Leben macht nur in der Retrospektive Sinn, weil man Irrationales, Instinktives, Unvorhersehbares postrationalisierten und alle Punkte im Nachhinein miteinander verbinden kann.
WELCHE...
- Welche positiven und negativen Erfahrungen kannst du aus zwei wichtigsten deiner Kampagnen erläutern?Ich bin nicht für meine Kampagnen bekannt. Die würden mich auf bunte Bilder und lustige Texte reduzieren. Ich bin dafür bekannt, dass ich einem Unterhemd mit meiner Kreativität einen Mehrwert geben und Marken erfolgreich machen kann. Kampagne sind Reklame. Reklame kann jeder und bald sogar KI besser als jeder.
- Welche Aspekte deiner Werbezeit betrachtest du als besonders wirksam für kreative Zusammenarbeit mit Designern, Architekten und Künstlern, und wie unterstützen sie dein aktuelles Schaffen?
Kreativität ist ein kollaborativer Prozess. Im Idealfall kommen da brillante Köpfe zusammen die eine gemeinsame Vision haben und zusammen als Team die bestmögliche, originäre und innovative Lösung für ein Problem kreieren. Die beste Lösung ist immer auch die wirksamste, effizienteste, erfolgreichste.
- Welche Dichter und Philosophen haben einen bleibenden Eindruck auf dich hinterlassen und dich geprägt?
Ich liebe Erich Fried und Ludwig Wittgenstein. Beide haben auf ihre Art und Weise mein Denken beeinflusst. Der eine aus der rein emotionalen und humanen Seite und der andere aus der rein intellektuellen und tiefsinnigen Seite. - Du hast mehrfach gesagt, dass du keine Heimatgefühle für den Iran hast, weil du früh nach Österreich gekommen bist und dich mehr als Österreicher fühlst. Wie ist es jetzt? Hast du Sehnsucht nach deinen Wurzeln, vielleicht allein aus familiären Gründen?
Je älter man wird desto eher sehnst man sich nach seinen eigenen Wurzeln. Aber ich kann nicht in den Iran also muss man sich dann damit abfinden.
- Vielleicht gerade jetzt, wo junge Kreative aus der Heimat Sehnsucht nach echten Helden haben, bist du das richtige Idol für sie? Wie siehst du deine Rolle in diesem Zusammenhang? Ich bin kein Idol. Ich bin der lebende Beweis, dass man mit Leidenschaft, Wille und Hartnäckigkeit alles im Leben erreichen kann. Und wenn das Leute inspiriert oder motiviert, dann ist es ebenso.
LETZE WORTE FÜR DIE JUNGEN KREATIVEN…
“Float like a butterfly, sting like a bee.
The hands can’t hit what the eyes can’t see.”
— Muhammad Ali
BIOGRAFIE
Geboren im Iran, aufgewachsen in Österreich und Studium in Frankreich, ist Amir Kassaei ein kreativer Kopf, Unternehmer, Investor und Redner. Mit Erfahrung bei renommierten Agenturen wie TBWA und Springer & Jacoby, bei denen er zum Executive Creative Director für Mercedes-Benz und Smart aufstieg, prägte er die Werbelandschaft maßgeblich. Als Global Chief Creative Officer von DDB Worldwide von 2011 bis 2019 führte er das Netzwerk zu zahlreichen Auszeichnungen. 2017 gründete er die Agentur C14torce in Barcelona, die Seat zur am schnellsten wachsenden Automarke in Europa machte. 2020 zog er sich aus der Werbebranche zurück und gründete die Architektur- und Designagentur BuresQ sowie die Modemarke H4H. Amir Kassaei ist ein Visionär, der Innovation und Kreativität in verschiedenen Branchen vorantreibt.
DANKE
Wir bedanken uns bei Peter Erik Hillenbach und Maggie Hohle für die Zusammenarbeit.